Von wegen „Rentnerbank“ – Zukunft ist heute

Festspielstadt Salzburg (Foto: Knut Kuckel)
(Foto: Knut Kuckel)

Schreib doch mal ein Buch – die freundliche Aufforderung aus meiner scheinbar ziellosen Schreiberei doch mal etwas Vernünftiges zu machen, begleitet mich ein halbes Leben lang. Um ein Buch zu schreiben, braucht’s mehr als ein paar gute Ideen.

Und – gibt’s nicht schon genug Bücher? 

Ganz ehrlich?  Das kommt für mich nicht in Frage. Für meinen Ruhestandsalltag kann ich mir Vieles vorstellen, aber ich mochte nie einer jener Menschen sein, die schreiben, um das Älterwerden besser zu ertragen.

Ich fühle mich wohl, bin ein zufriedener Mensch und schaue am liebsten nach vorne. Weniger gerne zurück.

Zukunft ist heute.

Mein Platz auf der Rentnerbank bleibt deshalb bis auf weiteres frei. Es passt nicht zu mir, mit Gleichaltrigen oder noch Älteren über das Gestern zu reden. Das wäre doch so – höre ich mich dann sagen – als wäre ich Stammgast auf dem Sitzmöbel am Altentreff.

Die Rentnerbank steht meistens an prominentem Platz in zentraler Lage. Dort müssen alle im Laufe eines Tages mindestens einmal vorbei. Hier wird man oder frau gesellschaftspolitisch bewertet. Dabei kommt selten jemand gut weg.

Alle Vorschläge aus dem Freundeskreis sind zwar meist wohlwollend gemeint, haben aber mit meiner Vorstellung von einem erfüllten Leben als älter werdender Mensch wenig gemein.

Ja, ich gebe zu, darüber auf unterschiedliche Weise nachgedacht zu haben. Schon viel früher. Als ich aus heutiger Sicht noch jung war. Mit 30 hoffte ich schon auf Mitleid, weil ich dachte, jetzt geht’s bergab. Ein populärer Spruch der 68er war bekanntlich trau keinem über Dreißig. Dabei ging es ab 30 erst richtig aufwärts. Mir war klar, in welcher Richtung ich mit entwickeln wollte. Rückblickend erinnere ich mich, dass ich in diesem Alter auf der Schiene sein wollte. Ein Ziel vor Augen. Sowas wie Erfüllung und Bestimmung in gleicher Weise.

Es gab immer viel zu tun, in meinem Leben. Zu meinen geschätzten Alltags-Bekannten gehörten mehr und mehr Spediteure, die mir zur Hand gingen, wenn ich mal wieder aus beruflichen Gründen meinen Wohnort wechseln musste.

Mit 40 redete ich immer häufiger über die Dinge, die ich nur vom Hörensagen kannte. Zum Beispiel wenn du alt wirst, vergeht die Zeit schneller. Dabei ertappte ich mich dabei, Visionen über das eigene Leben im Alter zu entwickeln. Sie rückten schließlich ins eigene Blickfeld. Die Alten. Die nicht loslassen können.

Sie fallen einem in der Kantine auf. Dort sitzen sie unter sich. Gut gekleidet und wohl genährt. Aber irgendwie gehören sie nicht mehr dazu. Werden belächelt. Stören alle, die noch nach oben wollen.

Mit Mitte 40 habe ich die Personalabteilung gebeten, mich nach dem Ausscheiden (mit 65) nicht auf den Seniorenverteiler zu setzen. Damals kannte man den Begriff Fremdschämen noch nicht, aber was ich beim Anblick unserer Pensionisten fühlte, kam dem schon gleich.

Das werde ich mal ganz anders machen, hörte ich mich sagen, wenn es um Bemerkungen in diesem Zusammenhang ging. 20 Jahre vor dem Ruhestand ist man ja noch so weit entfernt davon. Meint man.

Am Morgen meines 50. Geburtstag dachte ich, jetzt hast Du schon ein halbes Jahrhundert erreicht. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, ein halbes Jahrhundert. Spätestens dann fühlt man sich uralt. Ein paar Jahre später ist man in der Sprache junger Leute als Alter nur noch Staub.

Zum 50er lud ich befreundete Kolleginnen und Kollegen. In sehr guter Stimmung, denn der ausgewählte Ort des Ereignisses war das ehemalige Zisterzienserkloster Kloster Arnsburg. Nahe der hessischen Stadt Lich. Wir haben uns dort zwei Tage wohlgefühlt.

Danach ging es mit mir mächtig bergab. In meinem Leben haben sich schon kurze Zeit später die Dinge ganz anders entwickelt als ursprünglich geplant. Ich wurde von heute auf morgen sehr krank. War in der Folge schwerer Operationen nicht mehr uneingeschränkt arbeitsfähig.

Damit konnte ich anfangs nicht umgehen, weil ich zuvor nie ernsthaft krank war. Als Kind wurden mir mal die Mandeln entfernt, weil von den Geschwistern gerade jemand mit Mandelentzündung im Krankenhaus lag. „Dann haben wir das auch erledigt“, beschloss meine Mutter. Sie war sich dessen sicher, dass bei jedem Menschen Mandelentzündungen früher oder später Folgeerkrankungen auslösen könnten.

Fünf Jahrzehnte zeigte sich, dass mir das vorsorgliche Entfernen meiner damals nicht entzündeten Mandeln wenig genützt hat. Die Einzelheiten erspare ich der geneigten Öffentlichkeit.

Zum Gesundwerden habe ich die Einladung meiner Familie in Tirol angenommen. Dort wollte ich eine Weile bleiben. Aus dem Erholungsurlaub wurden fast 15 Jahre. So lange war ich als Erwachsener nie zuvor an einem Ort, geschweige denn in nur einem Land.

In Österreich und in anderen Ländern, aber auch daheim in Deutschland, wurde ich immer und immer wieder gefragt, wo bist Du denn zuhause? Grund war die Sprache. In Tirol nennt man meine Art zu sprechen Schriftdeutsch, in Deutschland vielfach Hochdeutsch. Den über drei Jahrzehnten meines Lebens als Rundfunkjournalist hat mir meine Art zu sprechen nie geschadet. Im Gegenteil.

Kaum mache ich meinen Mund auf und spreche mit mir unbekannten Menschen, folgt die Frage nach der persönlichen Heimat. Mit fortschreitendem Alter fiel mir das mehr und mehr auf.

Hier schließt sich der Kreis. Inzwischen bin ich (nach Bayern) in Prüm angekommen, meiner Geburtsstadt. Dort wohnt auch mein Bruder mit seiner Frau. In ihrem Haus sehe ich viel Verbindendes und in der Kellerwerkstatt des Bruders, die Jacke unseres Vaters.

Die hängt auf einem Bügel, als wäre unser Vater gerade mal aufgestanden, um die alte Hobelbank zu verlassen. Die Jacke existiert noch immer. Ohne sichtbare Schäden ist sie inzwischen doppelt so alt geworden, wie unser Vater zu Lebzeiten.

Die Jacke meines Vaters“ ist aber eine sehr persönliche Geschichte. Die habe ich mal vor ein paar Jahren geschrieben.

Ich möchte – so es meine Zeit erlaubt – auf Spurensuche gehen, um weitere Geschichten zu finden und die in meiner Sprache erzählen. Über Erlebnisse und Begegnungen mit Menschen, an besonderen Orten. Über das Auf- und Absteigen, Weggehen und Heimkommen.

Geschichten, die es wert sind, weiter erzählt zu werden.

Ich engagiere mich für Medienvielfalt und Qualität im Journalismus. Als Radiojournalist und Grenzgänger bin ich immer auch gerne Europäer. Mehr unter → Persönliches

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