Freie Meinungsäußerung ist ein wichtiges Menschenrecht. Das gilt jedoch genauso für das Recht, nicht diskriminiert zu werden. (Foto: Knut Kuckel)
(Foto: Knut Kuckel)

Diskussionskultur in der Krise – Empörung erzeugt Aufmerksamkeit

Die Zuspitzung gesellschaftspolitischer Konflikte polarisiert und beeinflusst die freie Meinungsäußerung. Demokratie braucht Medienvielfalt und eine informierte Gesellschaft.

Monika Huber ist engagierte Leserbriefschreiberin ihrer Heimatzeitung. So wie viele andere schreibt sie regelmäßig und zu allen möglichen Themen, meist kurz, spitzzüngig und provozierend.

Monika Huber weiß, wer sich an der öffentlichen Debatte beteiligt, hat Verantwortung.

Im Artikel 5, Absatz 1 des Grundgesetzes heißt es:

„Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Eine Zensur findet nicht statt.“

Dieses Recht gilt für die – vorwiegend anonymen – Meinungsäußerungen im Netz ebenso wie für die mittels traditioneller Medien. Nicht vom Grundgesetz geschützt sind allerdings Meinungen, die andere beleidigen oder zu einer Straftat aufrufen.

Ein Leserbrief ist eine schriftliche Meinungsäußerung oder Information zu einem bestimmten Thema. Er reagiert im Normalfall auf Zeitungs- und Zeitschriftenartikel (oder Beiträge eines Internetforums, Blogs oder einer Newsgroup). Er greift einen Beitrag auf, stimmt zu, ergänzt oder widerspricht und stellt richtig.

Leser schickten ihre Briefe gewöhnlich auf dem Briefweg, später via Fax und seit Beginn des 21. Jahrhunderts immer häufiger als E-Mail.

Lenz Jacobsen, Politik-Redakteur bei Die Zeit in seiner Kolumne „Der Hals schwillt gern bequem“: „Empörung erzeugt Aufmerksamkeit, erzeugt Dringlichkeit, erzeugt Handeln. Deshalb hat neben Politikern und Medien auch jeder einzelne Bürger eine Verantwortung dafür, worüber er sich öffentlich erregt.“

Der Philosoph und Autor Alexander Grau schreibt in seinem Buch „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“, sei zur „Leitideologie einer postreligiösen Gesellschaft“ geworden.

„Und wenn man dann in einer Talkshow sitzt und – vielleicht nehmen wir das Beispiel Sozialpolitik – auf ökonomische oder fiskalische Aspekte abhebt, dann ist man als Politiker ganz schnell der herzlose, der empathielose, der kalte Technokrat. Und der, der mit Empathie und Menschlichkeit und sozialer Verantwortung appelliert, und die arme alte Rentnerin anführt, der ist in der rhetorisch stärkeren Position.“

Nicht selten stehen auch Journalisten im Kreuzfeuer der Kritik.

Tissy Bruns, frühere Vorsitzende der Bundespressekonferenz  (* 1. Januar 1951 in Zeitz; † 20. Februar 2013), rechnet unter dem vielsagenden Titel „Republik der Wichtigtuer“ mit ihren Kollegen ab, die ihr freilich entgegenhalten, dass die Kritiker der Wichtigtuer selber die allergrößten seien. Für Bruns gehört gleich die ganze Zunft auf die sprichwörtliche „Couch“:

„Die Ruhmsucht ist zur großen Versuchung für die Politik geworden. Die Verführung ist ein Kinderspiel, der Zugang zum Stoff jederzeit möglich, die öffentliche Darbietung das Gegenteil einer angemessenen Inszenierung. Denn hier sitzen Medien und Politik, die sich so oft gegenseitig die Verantwortung für Oberflächlichkeit und Verflachung geben, in einem Boot.“

In seinem jüngst erschienenen Buch über „Die Meinungsmacher“ schreibt Kommunikationswissenschaftler Stephan Weichert, der deutsche Journalismus befinde sich im Zustand der schleichenden Verwahrlosung.

„Eine kleine Gemeinde geltungssüchtiger Medienpromis, die sich gern mit Politikern in der Öffentlichkeit zeigen, dominiert das redaktionelle Tagesgeschäft, zettelt Debatten an, lenkt das politische Feuilleton und wirkt in die öffentliche Sphäre hinein. Durch ihr dauerhaftes Mitteilungsbedürfnis auf allen Medienkanälen sichern sich diese Lichtgestalten ein Mitspracherecht auf höchster Ebene und beeinflussen so zugleich, was ihre Kollegen denken und publizieren – oder verschweigen.“

„Leserbriefe sollte man noch viel mehr schätzen lernen. Sie sind wertvoll“, schreibt Anton Sahlender, Leseranwalt der Main Post.

„Geben sie sich doch (noch) Mühe, ihre Gedanken zu aktuellem Geschehen beizutragen. Das heißt, sie denken erst nach, bevor sie ihre Meinung an die Zeitung schreiben. Ja, das gibt es noch. Sie greifen schließlich unter ihrem Namen öffentlich in eine Diskussion ein. Und die ist sogar ein unverzichtbarer Teil der Demokratie.“

Alles, was unter der Marke dieser Zeitung veröffentlicht wird, prägt nicht nur ihr Image. Die Redaktion haftet auch dafür. Auch für namentlich und mit Phantasienamen gezeichnete Kommentierungen gilt die Verbreiterhaftung. Schon deshalb bemühen sich professionelle Redaktionen um eine erträgliche Diskussionskultur. Sie lassen Boshaftigkeiten und Beleidigungen nicht zu. Die fallen auf das Image ihrer Marke zurück.

Ich engagiere mich für Medienvielfalt und Qualität im Journalismus. Als Radiojournalist und Grenzgänger bin ich immer auch gerne Europäer. Mehr unter → Persönliches