Schreib doch mal Geschichten für ein breiteres Publikum. Vielleicht in einem Buch? – Die freundliche Aufforderung, aus meinem scheinbar ziellosen Schreiben doch mal etwas Vernünftiges zu machen, begleitet mich fast schon ein Leben lang.
Aber braucht es dafür nicht mehr als eine Handvoll guter Ideen? Und – gibt’s nicht schon genug Bücher? Wer soll die alle lesen???
Ganz ehrlich? – Das kommt für mich vorläufig nicht in Frage. Die Betonung liegt auf vorläufig. Wenngleich ich mir in diesem Zusammenhang gerne eingestehe, dass das Schreiben Teil meines Lebens ist und hoffentlich noch lange bleiben wird.
Ich fühle mich wohl, bin ein zufriedener Mensch und darüber hinaus der Ansicht, Zukunft ist heute. Mein Platz auf der Rentnerbank bleibt bis auf weiteres frei.
Die Vorschläge aus dem Freundeskreis sind zwar wohlwollend gemeint, stimmen aber mit meiner Vorstellung eines erfüllten Lebens älter werdender Menschen nicht überein.
Ja, ich gebe zu, über das Älterwerden nachgedacht zu haben. Schon viel früher. Als ich aus heutiger Sicht noch jung war.
Mit 30 hoffte ich auf Mitleid der Clique, weil ich dachte, von nun an geht’s bergab. Ich habe den 68er-Spruch trau keinem über Dreißig noch im Ohr. Dabei ging es mit mir ab 30 richtig aufwärts. Mir war klar, in welcher Richtung ich mich beruflich und menschlich entwickeln wollte. Anvisiertes Ziel: auf der Schiene sein, ein Ziel vor Augen. Sowas wie Erfüllung und Bestimmung in gleicher Weise.
Es gab immer viel zu tun, in meinem Leben. Zu meinen geschätzten Alltags-Bekannten gehörten immer häufiger Spediteure, die mir zur Hand gingen, wenn ich mal wieder aus beruflichen Gründen meinen Wohnort wechseln musste.
Mit 40 redete ich gelegentlich über Dinge, die ich nur vom Hörensagen kannte. Zum Beispiel wenn du alt wirst, vergeht die Zeit schneller. Dabei ertappte ich mich dabei, Visionen über das eigene Leben im Alter zu entwickeln. Sie rückten mehr als mir lieb war, ins eigene Blickfeld. Die Alten. Die nicht loslassen können.
Sitzen in ihren früheren Kantinen, meistens unter ihresgleichen. Gut gekleidet und wohl genährt. Aber irgendwie gehören sie nicht mehr dazu. Mit Mitte 40 habe ich die Personalabteilung gebeten, mich nach dem Ausscheiden nicht auf den Seniorenverteiler zu setzen.
Das werde ich mal ganz anders machen, hörte ich mich sagen, wenn es um Bemerkungen in diesem Zusammenhang ging. 20 Jahre vor dem Ruhestand ist man ja noch so weit entfernt davon. Meint man.
Der Alltag gestaltet unser aller Leben. Ehe du dich versiehst, hast Du fünf Jahrzehnte auf dem Buckel.
Am Morgen meines 50. Geburtstages dachte ich, jetzt hast du das halbe Jahrhundert erreicht. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, ein halbes Jahrhundert. Spätestens dann fühlt man sich uralt. Zum 50er lud ich befreundete Kolleginnen und Kollegen ein. In sehr guter Stimmung, an historischem Ort. Wir haben uns dort zwei Tage wohlgefühlt. Miteinander geredet, über das hier und jetzt und über die Zukunft. Mit unterschiedlichsten Perspektiven.
In meinem Leben haben sich schon kurze Zeit später die Dinge ganz anders entwickelt als ursprünglich geplant. Stichwort Tirol. Ein Teil meiner Familie lebt nahe Innsbruck. Dort wollte ich eine Weile bleiben. Aus dem geplanten Kurzurlaub wurden mehr als zehn Jahre. Das Mieminger Plateau wurde mir zur neuen Wahlheimat.
In Österreich und in anderen Ländern, aber auch daheim in Deutschland, werde ich immer wieder gefragt, wo bist Du zuhause? In Tirol nennt man meine Art zu sprechen Schriftdeutsch, in Deutschland vielfach Hochdeutsch. Wer so spricht, fällt im regionalen Raum sprachlich auf. Als Zugereister oder als Feriengast. Vom Tiroler Oberland ging’s die folgenden Jahre nach Oberbayern.
Gleich wo ich gerade bin, kaum mache ich meinen Mund auf und spreche mit mir bis dahin unbekannten Menschen, folgt die Frage nach dem persönlichen Zuhause, wo sind Deine Wurzeln?
Hier schließt sich der Kreis. Inzwischen bin ich in meine ursprüngliche Heimatstadt zurückgekehrt. Hier wohnen gute, alte und neue Freunde, mein Bruder und seine Frau. In ihrem Haus sehe ich viel Gemeinsames. In der Kellerwerkstatt des Bruders, hängt unter anderem die Jacke unseres Vaters. Darüber habe ich mal nach einem Besuch vor ein paar Jahren etwas sehr Persönliches geschrieben.
Was ich in meinem Portal veröffentliche, sind Geschichten und Erlebnisse. Mit dem Wissen, dass alles, was wir heute für bemerkenswert halten, morgen schon wieder unwichtig sein kann.
Wir haben nur unsere Geschichte und sie gehört uns nicht einmal.
(José Ortega y Gasset)
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