Monika Huber ist engagierte Leserbriefschreiberin ihrer Heimatzeitung. So wie viele andere, schreibt sie regelmäßig und zu allen möglichen Themen. Meist kurz, spitzzüngig und provozierend.
Monika Huber weiß, wer sich an der öffentlichen Debatte beteiligt, hat Verantwortung.
„Leserbriefe sollte man noch viel mehr schätzen lernen. Sie sind wertvoll“, schreibt Anton Sahlender, Leseranwalt der Main Post.
„Geben sie sich doch (noch) Mühe, ihre Gedanken zu aktuellem Geschehen beizutragen. Das heißt, sie denken erst nach, bevor sie ihre Meinung an die Zeitung schreiben. Ja, das gibt es noch. Sie greifen schließlich unter ihrem Namen öffentlich in eine Diskussion ein. Und die ist sogar ein unverzichtbarer Teil der Demokratie.“
Im Artikel 5, Absatz 1 des Grundgesetzes heißt es:
Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Eine Zensur findet nicht statt.
Dieses Recht gilt für die – vorwiegend anonymen – Meinungsäußerungen im Netz ebenso wie für die mittels traditioneller Medien. Nicht vom Grundgesetz geschützt sind allerdings Meinungen, die andere beleidigen oder zu einer Straftat aufrufen.
Ein Leserbrief ist eine schriftliche Meinungsäußerung oder Information zu einem bestimmten Thema. Er reagiert im Normalfall auf Zeitungs- und Zeitschriftenartikel (oder Beiträge eines Internetforums, Blogs oder einer Newsgroup). Er greift einen Beitrag auf, stimmt zu, ergänzt oder widerspricht und stellt richtig.
Auch wenn eine Leserbrief-Redaktion einer Zeitung darauf verweist, Leserbriefe würden „ausschließlich die Meinung des Verfassers wiedergeben, nicht der Redaktion“, ist sie nicht aus der Verantwortung zu entlassen. Die Redaktion haftet für alles, was unter dem Zeitungsnamen veröffentlicht wird. „Auch für namentlich und mit Phantasienamen gezeichnete Kommentierungen gilt die Verbreiterhaftung“, schreibt Main-Post-Leseranwalt Anton Sahlender.
„Schon deshalb bemühen sich professionelle Redaktionen um eine erträgliche Diskussionskultur. Sie lassen Boshaftigkeiten und Beleidigungen nicht zu. Die fallen auf das Image ihrer Marke zurück.“
Anton Sahlender ist übrigens auch Sprecher der Vereinigung der Medien-Ombusleute (#VDMO).
In langfristig gepflegten und kontrollierten Meinungsportalen, habe man deshalb kaum noch unter dem Einfall von „Trollen“ und ihren meist persönlich beleidigend hingeworfenen Behauptungen zu leiden.
Und dennoch, meint Daniel-Pascal Zorn im Buch „Logik für Demokraten“ (Klett-Cotta): „Die deutsche Diskussionskultur ist in der Krise.“ Sie werde immer mehr von Redeweisen bestimmt, die jede vernünftige Zurückhaltung vermissen lasse.
„Jeden Tag versammeln sich in sozialen Netzwerken, Blogs und Kommentarspalten von Onlinemedien Hunderte von Menschen, die bestimmte Diskussionen mit Hass, Hetze und Häme vergiften.“
Lenz Jacobsen, Politik-Redakteur bei ZEIT ONLINE schreibt „Der Hals schwillt gern bequem“ – „Empörung erzeugt Aufmerksamkeit, erzeugt Dringlichkeit, erzeugt Handeln. Deshalb hat neben Politikern und Medien auch jeder einzelne Bürger eine Verantwortung dafür, worüber er sich öffentlich erregt.“
Der Philosoph und Autor Alexander Grau schreibt in seinem Buch „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“, sei zur „Leitideologie einer postreligiösen Gesellschaft“ geworden.
„Und wenn man dann in einer Talkshow sitzt und – vielleicht nehmen wir das Beispiel Sozialpolitik – auf ökonomische oder fiskalische Aspekte abhebt, dann ist man als Politiker ganz schnell der herzlose, der empathielose, der kalte Technokrat. Und der, der mit Empathie und Menschlichkeit und sozialer Verantwortung appelliert, und die arme alte Rentnerin anführt, der ist in der rhetorisch stärkeren Position.“
Nicht selten stehen auch Journalisten im Kreuzfeuer der Kritik.
Tissy Bruns, frühere Vorsitzende der Bundespressekonferenz, rechnet unter dem vielsagenden Titel „Republik der Wichtigtuer“ mit ihren Kollegen ab, die ihr freilich entgegenhalten, dass die Kritiker der Wichtigtuer selber die allergrößten seien. Für Bruns gehört gleich die ganze Zunft auf die sprichwörtliche „Couch“:
„Die Ruhmsucht ist zur großen Versuchung für die Politik geworden. Die Verführung ist ein Kinderspiel, der Zugang zum Stoff jederzeit möglich, die öffentliche Darbietung das Gegenteil einer angemessenen Inszenierung. Denn hier sitzen Medien und Politik, die sich so oft gegenseitig die Verantwortung für Oberflächlichkeit und Verflachung geben, in einem Boot.“
In seinem jüngst erschienenen Buch über „Die Meinungsmacher“ schreibt Kommunikationswissenschaftler Stephan Weichert, der deutsche Journalismus befinde sich im Zustand der schleichenden Verwahrlosung.
„Eine kleine Gemeinde geltungssüchtiger Medienpromis, die sich gern mit Politikern in der Öffentlichkeit zeigen, dominiert das redaktionelle Tagesgeschäft, zettelt Debatten an, lenkt das politische Feuilleton und wirkt in die öffentliche Sphäre hinein. Durch ihr dauerhaftes Mitteilungsbedürfnis auf allen Medienkanälen sichern sich diese Lichtgestalten ein Mitspracherecht auf höchster Ebene und beeinflussen so zugleich, was ihre Kollegen denken und publizieren – oder verschweigen.“
Diese kollektive Erregung – so der Kommunikationswissenschaftler Bernhard Pörksen – sei aus mehreren Gründen interessant: „Sie gibt Auskunft über die Gesellschaft: Was bewegt sie? Was lässt sie kalt?“ In gemeinsam mit Jens Bergmann herausgegebenen Buch Skandal! Die Macht öffentlicher Empörung (Halem Verlag, Köln) schreibt Pörksen, „Journalisten schließen sich mit dem (vermuteten) Volksempfinden kurz. Dabei überschreiten sie in ihrer Empörung der Gerechten oft selbst Grenzen. Die Jagd nach Skandalen ist nicht selbst skandalös.“