Das Basaltkreuz von Johann Baptist Lenz aus Oberkail erinnert an die Opfer des „Schwarzen Freitags“. Foto: Knut Kuckel
Das Basaltkreuz von Johann Baptist Lenz aus Oberkail erinnert an die Opfer des „Schwarzen Freitags“. Foto: Knut Kuckel

Explosion am Kalvarienberg in Prüm – „Was übrig blieb, glich einer Sandwüste“

Auf dem Kalvarienberg in der Eifelstadt Prüm erinnert ein sieben Meter hohes Gedenkkreuz aus Basalt an die Explosionskatastrophe in Prüm. Das Unglück jährt sich heute, am 15. Juli, zum 70. Mal.

Nach vielen Jahren besuche ich wieder meine Heimatstadt und spüre, dass sich hier aktuell viele Menschen mit ihrer Nachkriegsgeschichte beschäftigen. Die „70“ markiert im Jahr 2019 die unterschiedlichsten Zeitzeugengeschichten.

In Prüm denkt man in diesen Tagen an ein Ereignis, das auch mir noch vom Hörensagen in Erinnerung ist. Das war der Tag,  als der „Kalleberg“ in die Luft flog. Ein markantes Zeitzeichen der Prümer Geschichte.

Zeit für einen Rückblick.

„In Prüm hat der Krieg noch einmal ein Gastspiel gegeben“, schrieb der Zeit-Journalist Jan Molitor am 21. Juli 1949: „Droben, wo die Tiergartenstraße endet, dort endet auch jegliches Leben. Kein Baum, kein Strauch lebt mehr. Drunten sieht die Stadt aus, als wäre die Schlacht von Prüm gestern gewesen.“

Die Ursache des Unglücks, das in Prüm und Umgebung Verwüstungen anrichtete, konnte nie aufgeklärt werden. Die Vermutung, dass es sich um einen Sabotageakt gehandelt habe, hielt sich auch 60 Jahre später noch in Teilen der Bevölkerung.

Spiegel Online dazu in einer Reportage von Wolfgang Brenner: Die französische Besatzungsmacht zahlte der Stadt zwei Millionen Mark und verpflichtete sie, die Schuldfrage nicht weiter zu verfolgen. Umso heftiger wurde spekuliert: Von einer beabsichtigten Sprengung war die Rede, die dann außer Kontrolle geraten sei, von Fahrlässigkeit der Wachmannschaften und von einem technischen Defekt in den nur provisorisch verlegten Leitungen. Auch Sabotage wurde vermutet – wie jedes Mal, wenn in den Nachkriegsjahren ein Unglück geschah.

„Und dann wurde es finster“, überschrieb Ursula Wickert ihren Artikel im Trierischen Volksfreund zum 60-Jahr-Gedenken: „Es waren nur wenige Sekunden im Jahr 1949, die Hunderten von Menschen alles nahmen, was sie besaßen: Vier Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs lag der nördliche Teil Prüms zum zweiten Mal in Schutt und Asche. Zwölf Menschen starben, und 200 Familien verloren ihr Heim.“

Kreispolizeikommissar Franz Meyer ließ die Glocken der zerstörten evangelischen Kirche läuten, Männer mit Schellen liefen herum. Sie riefen: „Räumt die Stadt!“ – Es kam zu einer Massenflucht: Mütter suchten nach ihren Kindern, Männer nach ihren Familien. Der Bunker explodierte etwa gegen 20.20 Uhr.

Jan Molitor: Die Leute von Prüm saßen in den Wäldern. Sie sahen, wie plötzlich schwarze Nacht hereinbrach über Prüm Die Luft erdröhnte, die Erde brach auf, ein riesiger schwarzer Rauchpilz wölbte sich, stand lange und löste sich auf; es wurde plötzlich wieder hell. Sie sahen mit starren Augen ihre zerstörte Stadt. Und aus der Höhe rieselte der Sand herunter. Das sah, wie eine Frau es beschrieb, so aus, als weinte der Himmel blutige Tränen.

Die Bau- und Finanzkommission tagte unter Prüms Amtsgerichtsrat und Bürgermeister Dr. Kiefer, als Freitagabend die Brandglocke läutete. In der evangelischen Kirche wurden am anderen Tage die Toten aufgebahrt. Die Kommissionäre ließen sich nicht unterbrechen. Sie hielten das Geläut für Waldbrandalarm.

30 Prozent der Stadt Prüm wurde am „Schwarzen Freitag“ zerstört. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel schreibt ein paar Tage später: Der Explosionskrater war 50 Meter tief. 700 Tonnen Munition pulverisierten 350-tausend Kubikmeter Rotsandstein und streuten ihn über die Stadt. Als Staub. Der lag auf 1600 Morgen Gärten, Wiesen und Felder.

Von rund dreitausend Einwohnern des Eifel-Städtchens waren tausend obdachlos. Zeitzeugin Monika Rolef erinnert sich: „Es war die größte Menge Sprengstoff, die jemals in der Geschichte der Menschheit in die Luft flog. Die Menschen irrten herum, sie hatten gar nichts mehr.“

Als Neunjährige habe sie damals die Explosion miterlebt, erzählt Monika Rolef bei einer Gedenkveranstaltung des Geschichtsvereins Prümer Land. „Ich erinnere mich sehr gut daran. Wir waren Beeren sammeln, kamen zurück in die Stadt und hörten, dass der Kalleberg brennt.“ Was das bedeute, habe im Grunde jeder in der Stadt gewusst. „Die Nachricht versetzte uns in Angst und Schrecken. Schon lange wurde darüber gesprochen, was dann passiert.“

Zwölf Jahre alt war Maria Tarnow, als der Berg explodierte. „Wir spielten draußen, als Polizei und Feuerwehr durch Prüm fuhren und begannen, die Stadt zu evakuieren“, sagt sie. Bis zum Tettenbusch sei sie mit ihrer Familie geflohen, als es zur Katastrophe kam.

Was übrig blieb, glich einer Sandwüste. „Wir haben den Berg schon lange gefürchtet“ sagten die Leute.

Eine Informationstafel informiert vor Ort an das Geschehen: Gegen 19 Uhr ertönt die Brandglocke, warnt vor einer drohenden Explosion in den Munitionsstollen des Kalvarienbergs.“

Zum Hintergrund: Bei der Errichtung des Westwalls war 1939 im Kalvarienberg ein Bereitschaftsbunker der Wehrmacht angelegt worden. Der Hohlgangbunker lag 20 bis 30 Meter tief unter der Bergkuppe und bestand aus einem 100 und einem 60 Meter langen Stollen. Nach dem Zweiten Weltkrieg deponierte die französische Besatzungsarmee dort mehrere hundert Tonnen Sprengstoff, die zur Sprengung der Westwallbefestigungen dienen sollte. Die Prümer Bevölkerung wusste um diese Einlagerung und war darüber besorgt.

Die Journalistin Ursula Wickert: „Der Prümer Stadtrat diskutierte in den folgenden Jahren oft darüber, was mit dem Kalvarienberg geschehen soll. Unter anderem war die Rede davon, den Krater zuzuschütten, um dort ein Sportstadion zu bauen. Doch heute hat allein die Natur den Krater in ihrer Gewalt, der heute bewaldet ist und als Naherholungsgebiet dient. Als Mahnung an Kriegszeiten und die Katastrophe von 1949 hat die Stadt zunächst ein Holzkreuz und 1979 schließlich ein Basaltkreuz auf dem Berggipfel errichtet.“ Das Kreuz schuf der Künstler Johann Baptist Lenz aus Oberkail.

Von den einstmals 14 Kreuzwegstationen, die den Weg zum Kalvarienberg säumten und die um etwa 1776 etwa aufgerichtet worden waren, blieb bei der Explosionskatastrophe von 1949 nur die 3. Station übrig. Sie steht auf der linken Seite unter einer mächtigen Kastanie, direkt am Eingang rechts der neu angelegten Straße „Am Ölberg“.

In der Geschichte „Die Jacke meines Vaters“ schreibe ich u.a., in welcher Weise sich man sich in meiner Familie an den Tag der Kalvarienberg-Explosion erinnert.

Die Jacke meines Vaters – „ein starkes Symbol für Heimat“

Fotos: Knut Kuckel

Ich engagiere mich für Medienvielfalt und Qualität im Journalismus. Als Radiojournalist und Grenzgänger bin ich immer auch gerne Europäer. Mehr unter → Persönliches