Als ich vor über sechs Jahren zum letzten Mal meiner Heimatstadt einen Besuch abstattete, stand auf dem Ortsschild noch „Wald- bzw. Abteistadt Prüm“. 1200 Jahre nach dem Tod Karls des Großen ist Prüm jetzt Karolingerstadt.
Per Ratsbeschluss darf der Beiname seit nunmehr fünf Jahren geführt werden. Das wird noch mehr Gäste auf die Eifelstadt neugierig machen.
Lange war ich nicht mehr in Prüm, in meiner Geburtsstadt. So viel neue Eindrücke, sind in ein paar Tagen schwer zu verarbeiten. Zumal ich gar nicht darauf vorbereitet war, denn eigentlich wollte ich nur meine Familie besuchen. So wars ausgemacht. Dann wurde mehr draus.
Bevor ich Koffer und Rucksäcke packe, bevor ich auf Reisen gehe, recherchiere ich üblicherweise Hintergründe und Aktuelles über mein Reiseziel. Eine Berufskrankheit. Vielleicht ja, damit man ein wenig auf erste Gespräche vorbereitet ist?
Fangen wir klein an. Ich google Prüm. Mehr nicht. Google findet in nur 81 Sekunden mehr als 5-Millionen-160-tausend Einträge, die irgendetwas mit Prüm zu tun haben. Was auch immer. Zum Vergleich: von meiner neuen Heimatstadt Garmisch-Partenkirchen gibt es „nur“ drei Mal so viele Einträge. Obwohl „Garmisch“ sieben Mal größer und um Vieles populärer scheint als Prüm.
Das macht mich neugierig und ich lande gleich zu Beginn meiner kleinen Spurensuche bei der Verbandsgemeinde Prüm. Dort lese ich: Die Karolingerstadt Prüm (5.500 Einwohner – mit den Stadtteilen Dausfeld, Niederprüm, Steinmehlen und Weinsfeld) liegt im Deutsch-Belgischen Naturpark und ist als Mittelzentrum Verwaltungssitz der Verbandsgemeinde Prüm. Etwas abgesetzt steht da noch: „Das Stadtbild wird geprägt von der ehemaligen Benediktinerabtei aus dem 18. Jahrhundert“.
Nach diesen und anderen Informationen, denke ich, einigermaßen gut auf mein neues Prüm vorbereitet zu sein. Gehe also los. Kamera, Rucksack, Objektive – eigentlich so wie immer. Morgens um 8 Uhr ist die Stadt noch nahezu menschenleer. Erste Menschen begegnen mir. Darunter Hubert Nickels, ein freundlicher Trompeter des örtlichen Musikvereins. Der Verein feiert im Herbst sein 185-Jähriges Jubiläum, erfahre ich von ihm. Ich frage meinen neuen Bekannten, Hubert Nickels, ob ich ihn vor der Kirche, in der ich mal getauft wurde, fotografieren dürfe? Zustimmung. Ein Katholik lässt sich bereitwillig vor der Kirche der Protestanten ablichten? Aufgeschlossener könnte sich das heutige Prüm nicht präsentieren. „Das ist gelebte Ökumene“, denke ich.
Und stimmungsvoller konnte mein weiterer Rundgang durch Prüm nicht sein. Überall fühlte man den Feiertag. Festfahnen an den Häusern, davor mit Blumen geschmückte Altäre. Die Prümer Katholiken feierten Fronleichnam – im kirchlichen Sprachgebrauch das „Hochfest des Leibes und Blutes Christi-Fronleichnam“. Gefeiert wurde – wie anderswo auch – mit Hochamt und Prozession. Weihbischof Franz Josef Gebert war der Hauptzelebrant des Geschehens. Musikalisch umrahmt wurde die Prozession vom Musikverein 1834 e.V. Prüm, Leitung Thomas Rippinger.
Das diesjährige Fronleichnamsfest war für die Katholiken in Prüm von besonderer Bedeutung. Zum ersten Mal konnte seit den erfolgreich abgeschlossenen Renovierungsarbeiten der St. Salvator Basilika wieder ein Gottesdienst gefeiert werden. Die Fronleichnamsprozession (mit einer Eucharistiefeier in der Basilika) führte über den Fuhrweg zum Konvikt zum 1. Altar, von dort zum 2. Altar durch die Hillstraße zum Altenmarkt und weiter über Unterberg- und Spiegelstraße zum Duppborn (zum 3. Altar) – und fand zurück über den Weg durch die Hahnstraße schließlich ihren Abschluss an ihrem Ausgangspunkt in der Basilika.
Das Konvikt an der Kalvarienstraße ist heute ein „Haus der Kultur“ und ein „Haus der kirchlichen Dienste“. Während des Gebets am Glockenturm kommt mit ausgestreckter Hand eine Frau auf mich zu. Lacht mich an und stellt sich vor: „Ich bin die Hanna. Hanna Heller – die Frau von Wolfgang, den Du gestern schon an der Prüm getroffen hast. Wir kennen uns, erinnerst Du Dich?“ Darüber freue ich mich sehr. Fühle mich daheim. Zugehörig. Wir tauschen ein paar Erinnerungen aus und verabreden uns auf ein anderes Mal. Dann widmen wir uns weiter unserer Andacht. Jeder auf seine Weise.
Mitglieder der Pfarrgemeinde luden mich später dazu ein, ihre Kirche zu besuchen. „Gottes Haus ist für alle offen. Auch für Fotografen.“ So freundlich eingeladen, fühlt man sich gleich erleichtert (das neue und sehr strenge Kirchliche Datenschutzgesetz der Katholischen Kirche im Hinterkopf).Schauen wir uns also um. Das ist die berühmte Prümer Salvator-Basilika. Die Abteikirche. Außen Barock, innen Gotik.
Man sagt, Karl der Große habe die erste Salvatorkirche erbauen lassen. Als Aufbewahrungsort der Reliquie der Sandalen Christ war die Abteikirche der Benediktiner-Abtei Prüm so kostbar ausgestattet, dass sie „Goldene Kirche“ genannt wurde.
Die Ursprünge der Basilika liegen allerdings im Mittelalter. Bertrada die Ältere – ihr Ehemann ist unbekannt – von ihrem Sohn weiß man, er war Heribert von Laon. Mit ihm gemeinsam stiftete sie 721 die Abtei Prüm. Die erste Klosterkirche – „die Goldene“ – wurde 799 eingeweiht.
Bertrada die Ältere, ist eine der Urgroßmütter Karl des Großen (dazu gibt es eine Kurzinformation bei Wikipedia).
Prüm, Lieblingskloster der Karolinger, erlangte große Bedeutung und wurde zur freikaiserlichen Reichsabtei erhoben. Die St. Salvator Basilika ist die letzte Ruhestätte Kaiser Lothar I., des Enkels Karl des Großen. Sein Grab befindet sich im Bereich des Hochaltars.
„Wenn Du das nächste Mal kommst, schenke ich Dir eine exklusive Führung durch die Basilika“, verspricht mir Monika Rolef. Wenn die vitale Rentnerin als „Urgroßmutter Bertrada“ von Karl dem Großen Gäste durch die Basilika führt, sind alle von ihrer Darbietung begeistert. Und Monika Rolef ist eine gute Erzählerin. „Unermüdlich für ihre Heimatstadt im Einsatz“, so die SWR-Landesschau.
Der Beitrag berichtet u.a. wie Monika Rolef der Stadt Prüm den Karolingerpfad „abtrotzte“. Sie sammelte auch persönlich das Geld dafür. Die „Karolingerstadt Prüm“ wird es ihr danken. Davon ist auszugehen.
Mit Monika Rolef habe ich vereinbart, dass wir uns im Sommer noch einmal treffen, um mit Zeitzeugen in Prüm intensiver auf Spurensuche zu gehen. „Beeil Dich, dass sind alle nicht mehr die Jüngsten“, ruft sie mir am Vorabend zu Fronleichnam zu. „Und wenn Du noch so freundlich wärst, uns noch ein Bild vom Altar am Hahnplatz zu machen?“
Das kann ich Monika Rolef nicht abschlagen. Kaum jemand kann ihr etwas abschlagen wird mir später erzählt. Den Altar habe ich fotografiert. Und gleich noch etwas mehr. Und ich fühle etwas, was ich verloren glaubte: Heimatgefühle. Ganz stark. Doch das ist eine andere Geschichte, die erzähle ich vielleicht einmal in einer anderen Form.
Die Karolingerstadt Prüm – Spurensuche an Fronleichnam. Fotos: Knut Kuckel